Medial hat das Thema Bundesratswahl die Wintersession 2022 dominiert. Mit der Wahl von zwei neuen Bundesratsmitgliedern (SVP-Mann ersetzt SVP-Mann, SP-Frau ersetzt SP-Frau) bleibt die politische Zusammensetzung des Bundesrates unverändert. Erfreulicherweise hat aber der Kanton Jura nun eine 1. Bundesrätin.
Inhaltlich ging es in der Wintersession um die Umsetzung der Pflege-Initiative, die Initiative «Für ein besseres Leben im Alter» und um kantonale Mindestlöhne. Die Umsetzung der OECD-Steuer und die neue Besteuerung in der Hochseeschifffahrt (Tonnage Tax) nach Gewicht statt nach Gewinn stehen im Widerspruch zu Steuergerechtigkeit. Wie in der Steuerpolitik dominiert der bürgerliche Block ohne Kompromissbereitschaft auch in der Sozialpolitik oder in der Landwirtschaft (Stichworte: Biodiversität, Wolf). Dabei bleiben die Bedürfnisse von Mensch und Natur auf der Strecke. Gegen diese Politik ist Widerstand notwendig, so mit einem Nein zu Steuerdumping für Klimasünder und Rohstoffkonzerne.

Für gute Renten im Alter

133’000 Personen hatten die Initiative der Gewerkschaften für «Für ein besseres Leben im Alter» unterschrieben, welche eine 13. AHV-Rente fordert. Diese Verbesserung ist notwendig um Altersarmut zu bekämpfen und insbesondere die tiefen Renten von Frauen zu verbessern, so auch meine Forderung in der Debatte. Das Parlament lehnt das Anliegen leider mit 123:67 Stimmen ab. Jetzt wird die Stimmbevölkerung entscheiden!

Antiförderalistischer Coup gegen kantonale Mindestlöhne

Die Parlamentsmehrheit von SVP. FDP und Mitte kämpft gegen Mindestlöhne in den Kantonen, obwohl diese in Volksabstimmungen von der Stimmbevölkerung angenommen worden waren. Der Föderalismus wird nach bürgerlichem Belieben ausser Kraft gesetzt. Äusserst knapp (95:93 bei 4 Enthaltungen) wurde eine Motion angenommen, welche in den Kantonen Neuenburg und Genf zu Lohnsenkungen in verschiedenen Tieflohnberufen führen würde. Dagegen ist Widerstand angekündigt.

6. Kongress der Europäischen Grünen

900 GRÜNE aus unzähligen Ländern Europas, darunter zahlreiche Minister*innen, trafen sich vom 2.-4. Dezember zum 6. Kongress der Europäischen Grünen (European Green Party Congress). Die starke Botschaft: wir sind eine geeinte, starke politische Kraft, welche sich angesichts der vielen Krisen für eine gerechtere und nachhaltige Zukunft einsetzt. Es wurden 19 Resolutionen verabschiedet, so zum Krieg in der Ukraine, über soziale Lösungen für die Energiekrise, das Recht auf Abtreibung und vieles mehr. Als Teil einer vierköpfigen Schweizer Delegation konnte ich viele Kontakte knüpfen, so auch mit verschiedenen Parlaments-Kolleginnen aus anderen Ländern. (Foto: Schweizer Delegation).

Energiechartavertrag (Energy Charter Treaty):
Nachdem das EU-Parlament und viele EU-Länder die Zustimmung zum Energiechartavertrag verweigern, soll jetzt auch die Schweiz aussteigen, denn der Vertrag schützt fossile Investitionen und behindert den Klimaschutz.

Ukraine: Hilfe für Energieinfrastrukturen und Erinnern an Holodomor

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns alle. Aktuell auch vor dem Hintergrund des kalten Winters. Eindrücklich war der Austausch mit einer Vertretung einer NGO, die sprichwörtlich auf der Suche nach Strom-Transformatoren ist, welche für den kurz- und mittelfristigen Wideraufbau der zerstörten Energieinfrastruktur in der Ukraine dringend benötigt werden (Bericht: «Sie organisieren, was für die Ukrainer überlebenswichtig ist», Abo). 
Ebenfalls um die Ukraine, aber um ein historisches Unrecht geht es beim Holodomor („Tötung durch Hunger“). Es geht dabei um den Tod von mehreren Millionen Bäuerinnen und Bauern, die in den 1930er Jahren in der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zum Opfer des Stalinismus wurden. Der Nationalrat soll den Holodomor als Völkermord anerkennen, den Opfern gedenken und einen Beitrag zum kollektiven Erinnern leisten. (Bericht: Tamedia, 9.12.22 (ABO): «Jetzt muss sich die Schweiz zu den Millionen Toten äussern»)

Umsetzung Pflegeinitiative – Ausblick auf den Feministischen Streik 2023

Ein Jahr nach dem grandiosen Erfolg für die Pflege-Initiative an der Urne hat das Parlament einen ersten Schritt gemacht und eine Vorlage für die Verbesserung bei der Ausbildung verabschiedet. Nun müssen die Kantone umsetzen. Weiterhin hängig ist der Teil 2 der Umsetzung. Dort geht es um die dringend nötigen Verbesserungen bei den Anstellungsbedingungen des Pflegepersonals, damit dieses länger im Beruf verbleibt. Hier ist weiterhin Druck nötig. Politischen Druck wird hoffentlich auch der feministische Streik vom 14. Juni 2023 machen (Save the date).

Gleichstellung: Druck für Lohngleichheit und bessere Bedingungen für Mütter

Erfreulich war die Genehmigung des Übereinkommes der internationalen Arbeitsorganisation ILO zur Beseitigung von Belästigung am Arbeitsplatz.
Hingegen zeigt die neue Lohnstrukturerhebung schonungslos auf: es gibt in der Privatwirtschaft keine  Fortschritte bei den Frauenlöhnen und auch keinen Willen für weitere Massnahmen. Um die Lohntransparenz zu verstärken fordere ich wirksamere Massnahmen bei der Transparenz über Löhne, die auch präventiv wirken sollen, so wie dies Mitte Dezember auch die Europäische Union beschlossen hat.
Um die latente Diskriminierung junger Mütter (und junger Väter) auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern fordere ich einen Aktionsplan, der zusammen mit den Arbeitgebern erarbeitet werden soll (Bericht: Berner Zeitung, 13.11.2022 (ABO).

Transparenz gegen steigende Mieten und ein Vorkaufsrecht für Immobilien

Damit Gemeinden oder Wohnbaugenossenschaften gemeinnützigen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen bauen können, brauchen sie Bauland zu vernünftigen Preisen. Heute gibt es in der Romandie ein Vorkaufsrecht für Gemeinden für Aufgaben im öffentlichen Interesse. Dieser Ansatz soll auch auf Bundesebene eingeführt werden. Ebenfalls in vielen Kantonen praktisch erprobt ist die Transparenz bei der Vormiete, welche es Mieterinnen und Mietern vereinfacht gegen überhöhte Mieten zu klagen. Der Kanton Bern kennt das System leider bisher nicht, das soll sich ändern.

Unterstützung der Proteste im Iran für Freiheit

Die Situation der protestierenden Menschen im Iran verschlechtert sich. Protestierenden droht die Verurteilung ohne korrektes Verfahren und vielen auch die Todesstrafe. Trotz grosser Unterstützung für die Proteste für Freiheit im Iran (Kundgebungen, Petition), verweigert die Schweizerische Regierung die Übernahme von Sanktionen. Einerseits muss die Schweiz mit humanitären Visas gefährdete Personen vor Ort schützen, andererseits soll sie sich klar gegen Hinrichtungen aussprechen. Symbolisch übernehmen Politiker*innen Patenschaften für Menschen, die im Iran von der Hinrichtung bedroht sind.

Literarischer Hörtipp: Das Bernbuch. Meine weisse Stadt und ich

In 12 Berner Lokalen warten 19 Podcasts auf Hörer*innen. Verschiedene Personen lesen aus dem Buch des Afro-Amerikaners Vincent O. Carter, der 1953 in Bern ankam und in seinem «Das Bernbuch. Meine weisse Stadt und ich» die damalige Schweiz beschreibt. Meine Stimme ist zu hören im Cafè Apfelgold in der Länggasse zum Thema: «Über Männer, Frauen und die Schweiz».

Mit diesem Hörtipp für die Festtage schliesse sich meine Berichterstattung über politische Aktualitäten ausserhalb und innerhalb des Bundeshauses in der Wintersession ab.

Ich wünsche einen farbenfrohen und friedlichen Jahreswechsel!

Natalie Imboden, 16.12.2022

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